Wednesday, October 10, 2012

Brüsselfahrt-Bericht

Vom 18. bis 22. Juni 2012 waren wir Studierende des Masterprogramms „Komplexes Entscheiden“ zusammen mit Sandra Kohl und Professor André Heinemann in Brüssel. Wir haben bei dieser Exkursion bei Besuchen europäischer Institutionen, Nichtregierungsorganisationen, aber auch bei Lobbyisten einen Einblick bekommen, wie Entscheidungen auf dem europäischen Parkett entstehen, beeinflusst werden (können) und wie die Institutionen zusammenarbeiten.
Kurz nach unserer Anreise am Montag haben wir das Brüsseler Büro der Freien Hansestadt Bremen besucht. Hier erfuhren wir unter anderem etwas über den Ausschuss der Regionen (AdR), in dem Bremen Mitglied ist. Dieser Ausschuss ist insofern sehr interessant, da seine Entscheidungen Signalwirkung hätten, obwohl der AdR nur formal berät. Der Grund liege darin, dass die Vertreter im AdR bei sich zu Hause starken Einfluss hätten.

In den folgenden eineinhalb Tagen waren nacheinander Parlament, Kommission und Rat der Europäischen Union unser Ziel. Man berichtete uns hier, wie auch sonst, von der schnellen Arbeitsweise in Brüssel. Im Parlament werde außerdem sehr sachbezogen und weniger parteitaktisch gearbeitet. Statt Kontroversen, die sich an Parteilinien orientieren, gebe es in der EU solche zwischen nationalem und europäischem Interesse. So komme es, dass Europäisches Parlament und Kommission sich meist auf derselben Seite in einem Interessengegensatz mit dem Rat befänden (obwohl die Kommission im Vergleich zum Parlament noch ein Übergewicht an Befugnissen besäße). Diese Frontstellung bestätigten uns beide Institutionen. Auch beim Rat wurde uns vom Einfluss nationaler Interessen berichtet, so dass auch solche Rechtssetzungsakte politisch beeinflusst würden, die eigentlich rein fachlicher Natur seien. Im Rahmen unseres Besuchs bei der Kommission konnten wir uns gleichfalls über Praktikums- und Karrieremöglichkeiten informieren.

Am Mittwochnachmittag hörten wir einen Vortrag von Finance Watch (FW), einer Nichtregierungsorganisation, die gegründet wurde nach einem Aufruf von EU-Parlamentariern zur Schaffung eines Gegengewichts zur Finanzindustrie. Finance Watch wirbt für „die eigentliche Idee der Märkte“ (FW): ein Investieren, bei dem die Kaufentscheidung auf der eigenen Bewertung des jeweiligen Investors beruht (was zum Beispiel beim Hochfrequenzhandel nicht der Fall ist, der sich winzige Verzögerungen in der Reaktion auf Preisänderungen zu Nutze macht). Interessant war, eine Aussage aus einem Seminar des zweiten Semesters bestätigt zu bekommen: Trotz des Verhältnisses von 700 Lobbyisten auf Industrieseite und zehn bei Finance Watch, würden die 700 Industrielobbyisten quasi als eine Stimme wahrgenommen. Ihr Einfluss steigt somit nicht proportional zu ihrer Zahl. Entscheidender als personelle und finanzielle Ressourcen sei das Kennen der richtigen Ansprechpartner. Im Anschluss an diesen Termin brachte uns Albrecht Sanders im Rahmen einer Stadtführung Brüssel und die Brüsseler nahe.

Am Donnerstag machten wir zunächst Station bei der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland. Auch hier trat uns wieder das schnelle Arbeitstempo entgegen. Die dort beschäftigten Referenten handeln auf Weisung aus Berlin. So eine Weisung könne schon einmal erst kurz vor der Sitzung eintreffen, für die sie gilt. Im Idealfall bekämen die Referenten den Weisungsentwurf vorher zu sehen und könnten ihn kommentieren. Er würde dann in Berlin innerhalb einer Woche mit den beteiligten Ressorts abgestimmt und so zur endgültigen Weisung. Weil die Referenten für drei bis fünf Ausschüsse verantwortlich sind, haben sie ein erhebliches Arbeitspensum. Weiter ging es mit der Stiftung Wissenschaft und Politik – einer Mischung aus Denkfabrik und Forschungsinstitut, die uns über ihre Arbeit berichtete. Der letzte Besuch des Tages galt der Deutschen Welle (DW). Diese lasse sich bei der Entscheidung, was gesendet werden soll, von drei Gedanken leiten: die Welt aus der Perspektive Berlins zeigen, ein möglichst umfassendes Bild vermitteln und anderes machen als andere. Die konkrete Programmentscheidung werde dann mit dem Chef vom Dienst abgesprochen oder verhandelt. Vor dem Hintergrund des Brüsseler Arbeitstempos war die Einschätzung interessant, dass man dort als Korrespondent „komplett overnewsed and underinformed“ (DW) sei, also viele Themen oberflächlich kenne, aber nur wenige tiefer.

Am Freitag stand der Besuch beim Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) auf dem Plan, einer Interessenorganisation vor allem von Stadtwerken. Hier berichtete man uns, dass die Finanzmarktrichtlinie MiFID 2 in der derzeit geplanten Version auch VKU-Mitglieder treffe. Das liege an der besonderen deutschen Struktur der Energieversorgung. Man betreibe hier nämlich untereinander Energiehandel in Form von Futures, die als Finanzmarktprodukte unter die Richtlinie fallen. Somit ist in Brüssel auch bei solchen Rechtssetzungsakten Aufmerksamkeit angebracht, die für das eigene Geschäftsfeld auf den ersten Blick irrelevant erscheinen.

Im Gedächtnis bleiben wird uns sicherlich die schnelle und präzise Arbeitsweise in Brüssel, die immer wieder angeklungen ist. Darüber hinaus wurde Seminarwissen bestätigt: Wichtiger als die finanzielle und personelle Ressourcenausstattung ist die Fähigkeit, die richtigen Ansprechpartner zu kennen und anzusprechen. Insgesamt konnten wir mit dieser Reise unser Verständnis des Handelns und Entscheidens unterschiedlicher Akteure, auch in den Zusammenhängen, auf EU-Ebene erweitern und dies mit den Erfahrungen der Termine bei Bremer Akteuren und der Exkursion nach Berlin verbinden.